oder auch Schulsozialarbeiter etc.
Die folgende Übersicht zeigt, was Beratungslehrer im Falle eines Coming Out Prozesses unternehmen können:
- aktiv und wertfrei zuhören! Gerade dann, wenn Schüler in ihrem Prozess zuhause nicht oder nur unzureichend unterstützt werden, können Beratungslehrer und Schulsozialarbeiter eine erste Anlaufstelle (Verpflichtung zur Verschwiegenheit) für Ratsuchende mit Transgenderproblematik sein.
- Grundprinzipien der Beratung berücksichtigen: Vertraulichkeit, Freiwilligkeit, Unabhängigkeit und Verantwortungsstruktur
- gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten suchen! In meiner Tätigkeit als (Beratungs)Lehrerin habe ich insgesamt 4 Coming Out Prozesse beobachten und z.T. auch begleiten dürfen. Sie sind allesamt völlig unterschiedlich verlaufen. Bei allen Prozessen hat der Ratsuchende den Weg selbst gestaltet, in meiner Tätigkeit als Beratungslehrer habe ich diesen Weg lediglich begleitet. Die folgenden Beispiele zeigen, wie unterschiedlich also Hilfestellung aussehen kann:
Fallbeispiel 1:
Ein Transgenderjunge nimmt nach seinem Coming Out vor der Schulklasse („Ich habe mich einfach vorne hingestellt und den anderen erklärt, dass ich Transgender bin und ab jetzt Hannes genannt werden will. Die haben dann gefragt, was das heißt und ich habe es ihnen erklärt. Schwierigkeiten hatte ich keine und blöde Sprüche kamen auch nicht“) mit der Beratungslehrerin auf. Er bittet Sie um Hilfe bezüglich der Namensänderung an der Schule. Die BL erklärt ihm das Antragsverfahren und bietet ein gemeinsames Gespräch mit der alleinerziehenden Mutter des Jungen an. Man trifft sich zu dritt und bespricht die Schritte, die zu unternehmen sind. Die Mutter freut sich über eine Vorlage für den Antrag und stellt diesen in den nächsten Tagen bei der Schulleitung. Mit dem Ratsuchenden wird vereinbart, dass dieser sich mit der Beratungslehrerin in Verbindung setzt, falls es wider Erwarten doch noch zu Mobbing, Diskriminierung oder respektlosem Verhalten im Handlungsfeld Schule kommen sollte. Die Mutter des Ratsuchenden berichtet von positiven Erfahrungen bei einer Selbsthilfegruppe für Eltern Betroffener. Die Beratungslehrerin nimmt die Kontaktdaten für ihre „Netzwerkübersicht“ dankend an und fragt Hannes, ob er sich vorstellen kann, sich bei Bedarf mit jüngeren Transgenderschüler über deren Coming Out Prozess zu unterhalten und so ein Stück weit seine Erfahrungen weiterzugeben. Hannes freut sich und sagt dankend zu.
Fallbeispiel 2:
Martin ist als Nadja geboren und zu Beginn der Beratung 13 Jahre alt. Er ist Transgender, besucht die 8. Klasse des Gymnasiums und wohnt seit 6 Monaten bei seinem in Trennung lebenden Vater. Martin bedauert wenig Kontakt zur Mutter zu haben, er vermisst sie und tauscht regelmäßig Kurznachrichten und Mails mit ihr aus. Den Vater sieht er nur kurz morgens (Martin frühstückt nicht zuhause) und dann wieder abends beim gemeinsamen Abendessen, da der Vater ganztags arbeitet. Meistens ist Martin um 13:30 zuhause und macht nach einer kurzen Mittagspause seine Hausaufgaben. Martin hat durchschnittlich gute Schulnoten. In der 7. Klasse waren seine schulischen Leistungen deutlich besser, er selbst nennt Konzentrationsschwierigkeiten, deren Ursache er in der Genderproblematik sieht, als Grund für den Leistungsabfall. Sein inneres Coming Out hatte Martin mit ca. 5 Jahren. Unter Berücksichtigung seines Alters (13 Jahre) und der häuslichen Verhältnisse ist Martin gut informiert. Er kann den Begriff „Transgender“ erklären und hat online Kontakt zu einem etwas älteren Transgender, der sein äußeres Coming Out bereits hinter sich hat. Martin hat große Angst vor einem Coming Out im kompletten familiären Umfeld. Seine Eltern wissen in der Wirklichkeitskonstruktion Martins von seinem Problem, unterstützen ihn aber nicht, weil sie hoffen, dass es sich um eine Phase handelt. Martin hat seine eigenen Bedürfnisse bagatellisiert und sich Hilfskonstrukte (Brustband, Online-Freunde, Schulabsentismus) geschaffen, um einem äußeren Coming Out aus dem Weg zu gehen. Da es für Martin pubertätsbedingt nun aber immer schwieriger wird, das körperliche Geschlecht und damit auch die Geschlechtsidentitätsproblematik auszublenden, gerät sein Hilfskonstrukt ins Wanken, die Umstände zwingen ihn sich zu outen.
Verlaufsskizze (in Auszügen) des Coming Outs:
Expertensuche
Die BL hat telefonisch Kontakt mit der zuständigen Schulpsychologin aufgenommen. Diese hat darauf aufmerksam gemacht, dass es in der Nähe eine Selbsthilfegruppe zu diesem Thema gibt, und diese auch über Literatur zum Thema verfüge. Die Schulpsychologin sah die folgenden Handlungsmöglichkeiten: Entweder sei der Vater kooperativ, dann könne dieser sich Unterstützung bei der Erziehungsberatungsstelle suchen, oder aber der Vater blocke das Vorgehen des Kindes ab, dann müsse man warten, bis Nadja 14 sei und könne sie dann zum Kinderarzt schicken. Die Beratungslehrkraft hat dem Vater von den Möglichkeiten Erziehungsberatungsstelle, Kinderarzt und Selbsthilfegruppe berichtet. Der Vater hat Kontakt mit der Erziehungsberatungsstelle aufgenommen und relativ zeitnah einen Termin bekommen. Besuche der Selbsthilfegruppe und des Kinderarztes hat er abgelehnt.
Grünes Licht der Eltern zur Antragsstellung
Nach einem aus Sicht des Vaters katastrophal erfolglosen Gespräch bei der Erziehungsberatungsstelle hat die Beratunslehrerkraft den Auftrag Martins angenommen, dem Vater die Perspektive des Sohnes zu erklären und ihn über sexuelle Vielfalt aufzuklären. In insgesamt drei intensiven Beratungsgesprächen konnten die nötigen Sachkenntnisse vermittelt werden und der Vater zwischen Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung und körperlichem Geschlecht unterscheiden. Er konnte die Lage Martins besser verstehen und hat sich von der Vorstellung verabschiedet, dass es sich nur um eine pubertäre Phase handelt. Auch hat er den Handlungsbedarf erkannt, da die fortschreitenden körperlichen Veränderungen die Situation für Martin extrem erschweren.
Gespräch mit Klassenlehrer und Sportlehrerin
Durch die Schweigepflichtentbindungserklärung Martins und das „Grüne Licht“ der Eltern konnte am 21.02. das erste Gespräch mit dem Klassenlehrer und anschließend auch mit der Sportlehrerin stattfinden. Beide wurden von der BL‘ über die Transidentität Martins informiert und mit beiden wurden Sonderregelungen, Vereinbarungen und ein möglicher Ablaufplan für das Coming Out besprochen. Ein gemeinsamer Besuch der Schulleitung wurde mit dem Klassenlehrer vereinbart.
Gespräch mit der Schulleitung
Es fand ein erstes gemeinsames Gespräch zwischen KL, Schulleitung und BL statt, bei dem die Schulleitung erstmals darüber unterrichtet wurde, dass Nadja transident ist. Bei dem Gespräch konnte die BL‘ von der Erfahrung der Schulleitung profitieren, die Ängste des KL vor regelwidrigem Verhalten konnten beseitigt werden und es wurde abgemacht, sich an dem von der BL‘ und Martin vorgeschlagenen Fahrplan zum Coming Out zu orientieren. Zugleich konnten Ideen entwickelt werden, die die Beratung bei künftigen schulischen Coming Outs erleichtern würden. Es wurde beispielsweise vereinbart entsprechende Fachliteratur für die schuleigene Bibliothek anzuschaffen, die Schulgemeinschaft zu schulen und zu prüfen, inwiefern künftig eine doppelte Namensführung für die Transgender der Schule zu realisieren sei.
Antragsstellung
Die Eltern Martins wurden darin unterstützt, bei der Schulleitung einen Antrag auf doppelte Namensführung zu stellen. Das entsprechende Formular ist von er BL‘ erstellt worden und liegt als Vordruck für zukünftige Fälle im Sekretariat bereit.
Informieren des Klassenteams
Am Ende einer Klassenkonferenz nutzte die BL‘ in Absprache mit dem KL und der SL die Gelegenheit, alle beteiligten Lehrer und die anwesenden Elternvertreter über den Fall Martin und sein Coming Out Vorhaben zu informieren. Auch der entsprechende Vertreter der Schulleitung hat an dieser Konferenz teilgenommen, um ggf. die BL‘ zu unterstützen. Der Begriff Transgender konnte erläutert und Fragen/Befürchtungen der Anwesenden zum Coming Out Martins geäußert und größtenteils beantwortet werden. Die folgenden Aspekte kamen zur Sprache: gemeinsame Klassenfahrten mit Übernachtung, Umkleidekabinen, Mobbing, Elternbeschwerden bei den Elternvertretern, Planung der Vorgehens.
Informieren der Sekretariate, Einladung der Unterstützergruppe
Einen Tag nach der Klassenkonferenz wurden die Sekretariate informiert, Nadja ab dem Tag des Coming Outs unter dem Namen Martin zu führen. An diesem Tag sollten alle Klassenlisten aktualisiert und beispielsweise die Namensliste im Klassenbuch ausgetauscht werden.
Einladung Unterstützergruppe
Direkt im Anschluss wurden 6 Mitglieder der Unterstürzergruppe von der BL‘ zu einem Gespräch am 25.03. eingeladen. Um ein wildes „Spekulieren“ der Schüler zu verhindern und Martin nicht unnötig zu belasten, ist die Mail an einem Freitag verschickt worden. Aus der Mail ging weder der konkrete Anlass des Gespräches hervor, noch konnten die Eingeladenen erkennen, wer eingeladen war.
Gespräch mit der Unterstützergruppe
Alle angeschriebenen Schüler sind der Einladung der BL‘ nachgekommen und zum gemeinsamen Gespräch erschienen. Wenngleich Martin, der mit den anderen Schülern das Beratungslehrerzimmer betrat, zunächst äußerst nervös wirkte, so gelang es ihm doch, den Anwesenden überzeugend und äußerst verständlich sein Problem zu schildern. Er bat die Schülergruppe um Verständnis, Respekt und um Unterstützung, sollte es zu negativen Äußerungen seitens einiger Mitschüler kommen. Die Reaktion der Schüler war verständnisvoll und hilfsbereit und auch die „lehrerfreie Gesprächszeit“ war geprägt von Offenheit und gegenseitigem Verständnis. Als die Schüler den Raum verlassen hatten, wurde das Gespräch mit der Unterstützergruppe kurz gemeinsam mit Martin reflektiert, bevor er, durch eine weitere positive Erfahrung gestärkt, nach Hause fuhr und sich auf den nächsten Tag vorbereitete.
Coming Out in der Klasse
Es wurde vereinbart, dass die BL‘ zunächst die Klasse über „sexuelle Vielfalt“ aufklären sollte und Martin im Anschluss daran dann in Begleitung der BL‘ die Klasse betreten und sich in seiner wahren Identität vorstellen sollte. Soweit der gemeinsame Plan. Kurz vor der 5. Stunde betrat Martin sichtlich nervös aber zielstrebig das Beratungslehrerzimmer und gab bekannt, dass er von Anfang an in der Klasse sein wolle. Er käme dann nach dem Film nach vorne und stelle sich der Klassengemeinschaft als Martin vor. Auf einen „Vorstellungsbrief“ habe er verzichtet, er wolle das aus dem Stand formulieren, das läge ihm besser. Der ursprüngliche Plan wurde also angepasst und insgesamt lässt sich sagen, dass die Doppelstunde in der Klasse äußerst positiv verlaufen ist. Es gab eine lebhafte Auseinandersetzung mit dem Thema (es stellte sich heraus, dass die Jugendlichen nahezu alle Begriffe kannten, aber kaum einen erklären konnten) und nach der Präsentation des Filmausschnitts, der die Schüler sehr bewegt hatte, wurde Martin herzlich und ausschließlich positiv in der Klassengemeinschaft begrüßt. Klassenlehrer und Klassensprecher bedankten sich bei Martin für sein Vertrauen und seine Offenheit und Martin konnte endlich als Martin in die Mittagspause gehen.
Abschlussgespräch mit Martin
Von allen befragten Lehrern des Klassenteams erfuhr die BL‘, dass das Coming Out Martins durchweg positive Effekte gehabt habe. Seine Leistungen seien besser geworden und auch in der Klassengemeinschaft habe man keine Probleme feststellen können. Von Martin selbst hat die BL‘ in der Zeit nach dem Coming Out nichts gehört. Da sie inzwischen wusste, dass er und sein Vater im Transgenderkompetenzzentrum der Uniklinik Münster bereits Mitte August einen Termin bekommen haben