Es kann sein, dass im Vorfeld eines Coming Outs mit der Klasse gearbeitet werden muss, um negatives Verhalten und Mobbing zu verhindern. In welchem Ausmaß eine solche Arbeit nötig ist, lässt sich durch persönliche Gespräche mit den Eltern des Ratsuchenden, dem Ratsuchenden selbst, dem Klassenlehrer und ggf. auch einem Soziogramm der Klasse aus der Perspektive des Ratsuchenden klären.
Manchmal bietet es sich zu Mobbingprävention an, eine Unterstützergruppe einzurichten. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
- Der Ratsuchende sollte die Mitglieder seiner Unterstützergruppe selbst bestimmen können. er sollte aber dahingehend beraten werden, dass er Unterstützer aus möglichst verschiedenen Subsystemen der Klasse und Vertreter beider Geschlechter auswählt. (Im Anschluss daran kann auch der Klassenlehrer um eine kurze Beurteilung der Gruppe gebeten werden. Sollte diese negativ ausfallen, muss gemeinsam überlegt werden, wie weiter vorzugehen ist).
- Die Freiwilligkeit der Teilnehmer dieser Gruppe ist selbstverständlich
- dem Einladungsschreiben sollte nicht das konkrete Problem zu entnehmen sein, aber es sollte deutlich werden, dass ein Mitschüler aus der Klasse sich Unterstützung wünscht und deshalb die Einladung zum Gespräch erfolgt ist.
- Die Unterstützergruppe ist einen Tag vor dem Coming Out einzuberufen und unter „Geheimhaltungsverpflichtung“ gemeinsam von der BL‘ und dem Ratsuchenden über den Sachverhalt aufzuklären. Alle Beteiligten sollten gemeinsam überlegen, welche Schwierigkeiten auftreten könnten und wie ggf. damit umgegangen werden kann.
- Die BL‘ sollte daran denken, den Teilnehmern im Gesprächsverlauf eine lehrerfreie Zeit einzuräumen, damit die Schüler sich auch informell austauschen können.
- Nach dem Unterstützergruppengespräch sollte eine kurze Reflexion des Gesprächs – ohne die Anwesenheit der Schüler – zwischen Ratsuchendem und Beratungslehrkraft stattfinden.
Bevor Martin sich in der Klasse als Transgender outen kann, muss die Klasse ggf. über sexuelle Vielfalt aufgeklärt werden.
- Hierzu sollte auf eine altersgemäße Sprache und ansprechende Präsentation geachtet und zusätzlich viel Raum für einen offenen Dialog mit den Schülern eingeräumt werden.
- Um gleich zu Beginn eine gute Atmosphäre zu erzielen, ist von den Erfahrungen und dem Wissensstand der Schüler auszugehen. Ein Einstieg könnte beispielsweise sein, die Schüler zu fragen, welche Formen von Sexualität ihnen bekannt sind.
- Alle von den Schülern genannten Begriffe sollten (völlig wertfrei!!!) an der Tafel gesammelt und deren Bedeutung von den Schülern so gut es geht erklärt werden.
- Die anschließende Präsentation der BL‘ kann letzte Fragen klären und bietet ein System, die genannten Begriffe zu sortieren.
- Abschließend sollten die Schüler Gelegenheit haben, Fragen zu stellen oder ihre Gefühle/Ansichten über das Gesehene mitzuteilen.
- ein Verweis auf entsprechende Fachliteratur in der Schülerbibliothek oder das Verteilen entsprechender Informationsbroschüren (z.B. „sex’n tipps“) kann den Schülern die Möglichkeit zeigen, sich vertieft mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Unmittelbar nach der Aufklärung der Klasse kann das Coming Out des Ratsuchenden im Beisein der Klasse, des Klassenlehrers und der BL‘ erfolgen.
- Der Ratsuchende kann einen vorbereiteten Brief verlesen oder – falls er frei sprechen möchte – einen solchen für den Notfall in der Tasche haben. Das „Coming Out“ sollte im Vorfeld im Rahmen einer Beratungssitzung geübt worden sein.
- Als erste Reaktion darauf bietet sich ein herzliches Willkommen seitens des KL und ein Lob an den Ratsuchenden für sein mutiges Äußern wahrer Gefühle an.
- Der KL sollte die Schüler darauf hinweisen, dass der Ratsuchende von nun an von allen mit dem neuen Namen angesprochen und in seinem wahren Geschlecht akzeptiert wird. Anschließend sollte er der Klasse die Gelegenheit geben, Fragen zu stellen oder sich zu äußern.
- Im weiteren Gesprächsverlauf muss darauf geachtet werden, zum einen ausreichend Schutz für Martin, zum anderen aber auch ausreichend Raum für kritisch Fragen zu bieten (gemeinsames Umziehen, Ängste und Befürchtungen etc.). Sicher ist es förderlich, bei der Beantwortung der Fragen und bei der evtl. Besprechung von Ängsten und Befürchtungen immer wieder auch den Ratsuchenden zu Wort kommen zu lassen, sofern dieser das wünscht.
- Es ist darauf zu achten, dass genug Raum und Zeit für diese Phase zur Verfügung steht.
- Um einen nicht endenden Strom an WhatsApp-Fragen und Spekulationen zu verhindern, sollte das Coming-Out nicht an einem Freitag stattfinden. Ein besonders geeigneter Zeitpunkt ist sicherlich 3-4 Tagen vor den Ferien, da dann ausreichend Zeit für die persönliche Klärung offener Frage bleibt und nach den Ferien der Genderwechsel bereits deutlich an Wichtigkeit verloren hat.
Auch nach dem Coming Out sollte die BL‘ in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob der Ratsuchende in einem gewalt- und diskriminierungsfreien Ambiente die Schule besuchen kann. Sollte eine Intervention nötig sein, ist diese so früh wie möglich zu starten.
Abschließend bleibt erneut zu betonen, dass es sich bei der obigen Darstellung um einen Ideenpool handelt. Ob die jeweiligen Bausteine nötig sind, ist von Fall zu Fall individuell zu entscheiden.