Schule ist zur ganzheitlichen Sexualaufklärung verpflichtet1. Was das konkret heißt, bleibt aber recht vage. So heißt es beispielsweise in Paragraph 2 (1) des NSchG:
„(…) ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten (…)“
und in Paragraph 96 (4) des NSchG
„(…) Die Sexualerziehung in der Schule soll vom Unterricht in mehreren Fächern ausgehen. Sie soll die Schülerinnen und Schüler mit den Fragen der Sexualität altersgemäß vertraut machen, ihr Verständnis für Partnerschaft, insbesondere in Ehe und Familie, entwickeln und ihr Verantwortungsbewusstsein stärken.“.
Will man nun konkrete Informationen über die Inhalte der Sexualerziehung an Schule in Niedersachsen, ist ein Blick in die unterschiedlichen Curricula der Fächer unumgänglich. Nach erster Recherche 2 lässt sich aber feststellen, dass es in den niedersächsischen Lehrplänen insgesamt sehr wenige Hinweise bzgl. der Thematisierung von Sexualität sowie sexuellen und geschlechtlichen Identitäten im Unterricht gibt und auch die dort dargestellten Aspekte sehr allgemein und unspezifisch bleiben. So heißt es beispielsweise in den curricularen Vorgaben für den Biologieunterricht im Gymnasium: „Der Unterricht im Fach Biologie trägt darüber hinaus dazu bei, den im Niedersächsischen Schulgesetz formulierten Bildungsauftrag umzusetzen, und thematisiert auch die Vielfalt sexueller Identitäten“3.
Das WHO-Regionalbüro für Europa und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geben in Zusammenarbeit mit der Europäischen Expertengruppe für Sexualaufklärung in ihrem gemeinsam entwickelten Rahmenkonzept „Standards für die Sexualaufklärung in Europa“ Hinweise dazu, welche konkreten Themen für Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen Altersklassen relevant sind. Diese sogenannten Standards haben zwar keine rechtliche Verbindlichkeit, sind aber für politische Entscheidungsträger, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsbehörden etc. als Argumentationshilfe zur Einführung einer ganzheitlichen Sexualaufklärung oder als praktische Hilfestellung zur Ausarbeitung geeigneter Curricula zu sehen. Den Standards4 ist u.a. zu entnehmen, dass bereits 4-6-jährige Kinder über gleichgeschlechtliche Beziehungen informiert und zur Anerkennung von Vielfalt erzogen werden sollen. Im Alter von 9-12 Jahren sollen die Kinder erfahren, dass es Unterschiede zwischen der Geschlechtsidentität und dem biologischen Geschlecht geben kann und dass es Unterschiede im sexuellen Verhalten gibt. Die Kinder sollen darin unterstützt werden, Verständnis und Respekt für sexuelle Vielfalt, Orientierung und deren Anerkennung zu entwickeln (vgl. S. 47). Im Alter von 12-15 soll den Jugendlichen ermöglicht werden, unfaires und diskriminierendes Verhalten und Ungleichberechtigung anzusprechen und sexuelle Rechte für sich und andere anzuerkennen (vgl. S.51). Auch wenn derzeit noch in einigen wenigen Fachcurricula wie Biologie und Werte und Normen konzeptionell dafür gesorgt wird, dass die in den Standards formulierten Ziele erreicht werden können, so lässt sich dennoch schlussfolgern, dass das Bestreben, sich auch in Schule von dem heteronormativen binären Geschlechtsmodell zu verabschieden, politisch gewollt ist und dass jene, die als Landesbeamte für die Umsetzung der curricularen Vorgaben verantwortlich sind, verpflichtet sind, einen Beitrag zur Verabschiedung von heteronormativen Modellen und zur allgemeinen Anerkennung unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Identitäten zu leisten. Abschließend kann also festgehalten werden, dass es zwar eine rechtliche „Zielvereinbarung“ gibt, insgesamt aber die Rechtsnorm bezüglich genderspezifischer Fragen äußerst vage bleibt.
1 Alle Angaben beziehen sich auf den Unterricht im Bundesland Niedersachsen. Als Quellen dienten das Niedersächsische Schulgesetz und die Niedersächsische Verfassung
2 Alle Curricularen Vorgaben sind auf www.nibis.de zu finden.
4 WHO-Regionalbüro für Europa und BZgA: Standards für die Sexualaufklärung in Europa